| | | Von RALF SCHULER
Berlin – Es ist der Tag, an dem das Werk von 5 Jahren kurz vor dem Zusammenbruch steht.
Um 11 Uhr zieht Angela Merkel (60, CDU) mit ihren Bodyguards im Berliner Szene-Club „E-Werk" ein. Stahlträger, rohe Ziegel, dunkle Anzüge – eine „coole Location" zur Feier des 70. CDU-Geburtstags.
5 Jahre Griechen-Rettung sind am Wochenende gescheitert. Den ganzen Sonntag über hat sie im Verborgenen Krisen-Telefonate geführt, sich nicht gezeigt, jetzt sind alle Kameras auf sie gerichtet. Nur auf SIE.
Kleine Werkhalle statt großer Bahnhof: Nicht einmal CSU-Chef Horst Seehofer (65) ist zum Gratulieren gekommen. Stattdessen lobt Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt (64, CSU) die „deutsche Kanzlerin, die in schwierigen Zeiten Europa zusammengehalten hat".
Bis zum Griechen-Desaster am Wochenende! Denn nun könnte Griechenland nichts anderes übrigbleiben, als den Weg in den Grexit zu gehen. Es droht damit, was Angela Merkel fünf Jahre zu verhindern versucht hat: STAATSBANKROTT!
Undenkbar bisher in der „Europa-Partei" CDU!
Undenkbar an einem Tag, an dem das politische Erbe von Konrad Adenauer († 91) und dem Kanzler der Einheit, Helmut Kohl (85), gefeiert wird, die zu den Baumeistern gehören des gemeinsamen „Haus Europa".
Bisher undenkbar. Und plötzlich für sie gefährlich real.
Im lachsroten Blazer tritt Angela Merkel ans Pult. Statt der Bernstein-Kette von der Ostsee, die sie sonst bei wichtigen Euro-Entscheidungen trug, jetzt eine „Schnur" mit schwarzen Labradorit-Steinen.
„Europa lebt von der Fähigkeit, Kompromisse zu finden", sagt sie. Ich habe alles versucht, soll das wohl heißen.
Doch die Sympathien der Festgäste gehören einem anderen, der bis zum Schluss eisenhart mit den Griechen verhandelt, nicht gewackelt hat: „Danke, Wolfgang Schäuble!", sagt Merkel. „Gut, dass Sie Finanzminister sind!"
Da brandet Beifall auf, lange und laut, für den Mann, der reglos in der 1. Reihe in seinem Rollstuhl sitzt.
Dass „Sie" Finanzminister sind! Nach 10 gemeinsamen Kanzler- und Ministerjahren ist das Paar immer noch per Sie. Professionell, vertrauensvoll – ohne falsche Kumpelei.
Mit Griechen-Premier Alexis Tsipras (40) duzt sich die Kanzlerin. So wie es auf Ebene der Staats- und Regierungschefs international üblich ist.
Der liebe „Alexis", ein lächelnder Links-Ideologe, der die mächtigste Frau der Welt („Forbes") einfach auflaufen ließ.
„Der Ball liegt jetzt bei den Griechen", hat Angela Merkel am Morgen im CDU-Präsidium gesagt. Seit 2010 war sie bei der Griechen-Rettung am Ball, jetzt blickt Europa bang nach Athen.
Um 13.30 Uhr informiert Angela Merkel im kleinen Kabinettsaal (Kanzleramt, 6. Stock) die Partei- und Fraktionschefs der Bundestagsparteien über den Stand der Griechen-Krise.
Ihr Ziel: die Spitzen der Parteien über die dramatische Lage informiert zu halten – und so die Verantwortung auf so vielen verschiedenen Schultern zu verteilen wie möglich.
„Scheitert der Euro, scheitert Europa", hat Angela Merkel immer wieder gesagt. Doch der Kanzlerin ist klar: Auch sie hält einen Grexit nicht mehr für ausgeschlossen.
Grexit – nach fünf quälenden Jahren muss sich auch die Kanzlerin langsam an diesen Gedanken gewöhnen.
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